
Deine Dämonen zum Tee einladen...
Es scheint ein Prinzip zu geben, wie wir Ängste, Schmerzen und andere störende Empfindungen leichter loswerden können. Aber bevor wir gleich ans Eingemachte gehen, nehmen wir uns ein ganz kleines Beispiel: Du liegst in einem Raum, hast die Augen geschlossen und bist ganz still. Du könntest viel hören, aber du hörst nur die tickende Uhr. Tick-Tack…die ganze Zeit. Es nervt!
Ich habe Folgendes häufiger mit Freunden bzw. Kunden ausprobiert: Wir meditieren und achten auf die Geräusche um uns herum. Um etwas anderes als die tickende Uhr wahrzunehmen, gibt es einen Trick. Du lenkst deine Aufmerksamkeit voll auf das Ticken der Uhr – nur für einen Moment. Danach lenkst du deinen Aufmerksamkeits-Scheinwerfer bewusst auf etwas anderes – ein anderes Geräusch. Was häufig passiert: Man nimmt die Uhr überhaupt nicht mehr wahr. Zumindest verblasst das Ticken und nervt nicht mehr.
Du kannst diesen Trick bei Schmerzen gut nutzen. Wenn wir in meinen Seminaren meditieren und ich sehe, dass ein Teilnehmer sich an die Schulter fasst oder versucht, die Spannung in seinem Nacken zu lösen, dann sage ich:
„Wenn du Verspannungen oder Schmerzen fühlst, dann richte deinen Aufmerksamkeits-Scheinwerfer voll auf diesen Bereich. Nimm deine Schmerzen bewusst wahr. Gut…jetzt lenke deine Wahrnehmung wieder auf deinen Atem.“
Oft berichten die Teilnehmer danach, dass die Verspannung oder Schmerzen viel weniger wurden.
Das Prinzip scheint wie ein Pendel oder eine Abriss-Birne zu funktionieren: Nicht unterdrücken und wegeschauen - sondern kurz wahrnehmen, um dann mit Schwung auf etwas anderes zu achten.
Ich habe beobachte, dass sich dieses Prinzip auf einige Situationen anwenden lässt. Einige Kinder beim Kinder-Karate hungern nach mehr Aufmerksamkeit als andere. Sie schnipsen oder machen lästige Geräusche, wenn sie etwas sagen möchten und nehmen so den Raum für die etwas Schüchternen. Inzwischen nehme ich den „Störer“ kurz wahr („Ich sehe dich!“) und gebe ihm kurz die Aufmerksamkeit und richte dann die Aufmerksamkeit auf die ruhigeren Kids. Ich sage dann so etwas wie:
„Ich sehe, dass du schnippst, aber deswegen kommst du noch nicht dran.“ Dann schaue ich sofort ein anderes Kind an. Selbst bei fremden Gruppen oder neuen Kindern dauert es inzwischen nur noch wenige Minuten, und sogar die „Härtefälle“ werden viel schneller ruhiger als früher.
Das Prinzip funktioniert auch gut bei Ängsten und Sorgen. Dazu passt eine alte Geschichte: Der Dämonengott Mara besuchte eines Tages Buddha. Anstatt den bösen Dämon abzuwehren oder ihn zu ignorieren, lud er ihn zu einer Tasse Tee ein. Buddha blieb dabei frei und unbeeindruckt. Das Böse verschwand dann wieder.
Buddha sagte ihm im Grunde: „Ich sehe dich, Mara.“
Wir haben alle unsere Ängste, Dämonen und Schatten zu bekämpfen. Die Fragen sind dann nicht: „Warum ich?“ oder „Bin ich anders als die anderen?“
Die Frage ist: „Wie kann ich stark genug werden, um mit meinen Dämonen Tee zu trinken?“
Diesen Artikel mit anderen Teilen:
Folgendes Video passt zum Thema:
Kommentar schreiben
henrike hüttner (Samstag, 20 März 2021 23:55)
Vielen Dank für diese prägnante Frage: „Wie kann ich stark genug werden, um mit meinen Dämonen Tee zu trinken?“ Die bringt wirklich das Wesentliche auf den Punkt!